Südafrika in Wort und Bild


Kater Johnnys Krimi

oder Herbert Simmerings Machenschaften

 

Vorwort

„Kater Johnnys Krimi“ heißt mein neues Buch. Das ist ein seltsamer Name für einen Krimi, aber bewusst gewählt.

Der Krimi wäre nie zustande gekommen, hätte ich nicht einen Kater aus dem Tierheim geholt. Meine Katze Lily hat ihren langjährigen Lebensgefährten, einen alten 18-jährigen Kater verloren. Sie war erst sechs Wochen und er 14 Jahre alt, als sie sich kennenlernten und nach einer Woche die besten Freunde wurden.

Dann starb er, und Lily war allein. Sie trauerte entsetzlich und verkroch sich Tag und Nacht.

Mir brach es das Herz, und so holte ich Johnny aus dem Tierheim. Er war genauso alt wie sie und ebenfalls getigert, aber traumatisiert. Die ersten drei Nächte redete er Non-Stopp und an Schlafen war nicht zu denken. In dieser Zeit entstand mein Krimi.

Dazu muss ich sagen, dass ich in meinem Leben kaum Krimis gelesen habe, außer vielleicht Raymond Chandler oder so. Auch im Fernsehen schaute ich keine Krimis. Ich fand die Handlung meistens viel zu verworren und verschachtelt, mit zu vielen Personen, die ich nicht mehr auseinanderhalten konnte. Weshalb ich ausgerechnet jetzt, als Kater Johnny meine Nachtruhe störte, eine Krimihandlung aufzeichnete, weiß ich nicht.

Aber nun lässt es mich nicht mehr los. Wenn ich abends aufhöre zu schreiben, habe ich keine Ahnung, wie es weitergeht. Pünktlich am nächsten Morgen, meistens im Bad, fällt mir dann eine Fortsetzung ein. Eigenartig.

Jetzt liegt mein Krimi vor. Ich hoffe, er gefällt.

Dieser Krimi ist dir, Kater Johnny, gewidmet.

 

Neu-Isenburg, Oktober 2014

 

1

Die Tote

Sie lag einfach da, die Tote am Strand, in der seltsam schaurigen Schönheit des Todes. Sie war wie ein Gemälde oder eher noch wie eine Statue, hingegossen wie eine Ballerina in der Schlussszene von Schwanensee. Ihr schöner Kopf lag auf dem ausgestreckten rechten Arm, das linke Bein leicht angewinkelt. Ihr Gesicht war ungeschminkt. Über die Augen zog sich ein dunkler Strich geronnenen Blutes, das von einer Wunde an ihrer Schläfe ausgetreten war. Die Frage, ob sie auch wirklich tot war, musste nicht mehr gestellt werden. Die Wunde an ihrer Schläfe war tief, rot und hässlich.

Der Mann stand da und betrachtete sie wehmütig. Er ertappte sich, dass er sie studierte, wie ein Bildhauer oder Maler. Das blonde Haar wehte sachte im Wind, so als ob es dem geschundenen Gesicht Kühlung verschaffen wollte. Er vertiefte sich interessiert in dieses Gesicht. Es war schön. Der Mund war leicht geöffnet und die blassen Lippen voll. Die fast durchsichtige, marmorne Blässe ihrer Wangen ließ sie wie ein Alabasterbild aussehen. Mit leichtem Schuldgefühl wanderte sein Blick auf die halb entblößte linke Brust. Sie lugte prall und wohlgerundet aus dem Ausschnitt der feinen pastellfarbenen Bluse heraus, deren Stoff nicht mehr war als ein Hauch auf dem schönen Körper. Ebenso durchsichtig wie die Blässe ihrer Wangen.

Wut stieg unerwartet in ihm auf, als er sich über die enorme Hitze ärgerte. Mit einer Hand wischte er die Schweißperlen, die sich wie Tränen von seiner Schläfe den Weg durch die Stoppeln auf seine Wangen bahnten, um in salzigen Tropfen auf seinem Hemd zu landen. Die Sonne schickte ein unwirkliches, gleißende Licht auf die Figur, die still und regungslos dalag.

Er stand da und betrachtete sie nur. Irgendetwas musste er tun, fiel ihm missmutig ein. Dabei wollte er nichts verändern, nichts zerstören. Er ließ seine Blicke über den menschenleeren Strand schweifen. Keine Spuren, nur Sand. In der Ferne waren die Umrisse eines kleinen Hafens zu sehen. Wie in einem Traum nahm er jetzt das ewige Dröhnen der Brandung wahr. Das Wasser glitt wie in einem Perpetuum Mobile sanft über den Sand. Bei jedem Rückzug legte das Wasser hunderte von kleinen Schnecken frei, die vor der Rückkehr der Strömung ihre Aasopfer in großen Schwärmen überfielen. Von überall kamen sie her und bahnten sich mühsam ihren Weg zu den toten Quallen – oder jetzt auch, dachte er mit einem Schaudern, zur Toten.

Das Dröhnen in seinem Kopf machte es schwierig für ihn, klare Gedanken zu fassen. Würde sie auch lautlos verschwinden, aufgefressen werden von den Schnecken, wenn die über sie herfallen? Wie in einem Traum stellte er sich vor, wie sie an den Füßen anfangen würden. Dabei fiel ihm auf, dass die Tote keine Schuhe trug. Wieder ertappte er sich, wie er auf ihr nacktes Bein starrte und die Wölbung ihrer Hüfte betrachtete, die von kurzen Shorts bedeckt wurde. Die Schnecken könnten sie wohl nicht ganz verschwinden lassen. Es blieben sicher Kleiderfetzen und Knochen zurück. Wieder durchlief ihn ein Schaudern.

Wo kam sie her? Ohne Schuhe? Sie konnte keine Touristin sein, die aus dem nahegelegenen Kiefernwäldchen gekommen war, um ans Meer zu gehen. Nicht ohne Schuhe. Er zwang sich, ihre Wunde zu betrachten. Ihre rechte Stirnhälfte war zerschmettert. Sie musste einen heftigen Schlag auf den Kopf erhalten haben, und vermutlich war sie genau an dieser Stelle gestorben – gleich da, wo er gerade stand.

Er setzte sich im Schneidersitz vor sie. Starke Blitze zogen vor seine Augen. Jeder ein Stich, wie mit einem scharfen Messer. Es fiel ihm schwer zu denken. Es fiel ihm schwer, sich zu erinnern. Wer war er überhaupt? Und was machte er hier an diesem einsamen Strand? Er betrachtete sich selber und befühlte seine Shorts. Ein guter, leichter Sommerstoff. Auch sein Hemd schien aus gutem Hause zu kommen. Es fiel ihm auf, dass auch er keine Schuhe oder Sandalen anhatte. Seine Füße schienen gut gepflegt zu sein. An seinem linken Arm trug er eine Rolex.

Wieder kam eine maßlose Wut in ihm auf. Er nahm eine Handvoll Sand und warf ihn in hohem Bogen von sich weg. Warum war er so wütend? Und auf was? Die Zeit schien still zu stehen. Nur vage hörte er die Brandung und eine bleierne Müdigkeit überfiel ihn. Sein Kopf mit dem ungepflegten Stoppelbart fiel auf seine Brust, und langsam sank er auf den Sand.

Er wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, und schaute sofort zu „seiner“ Toten. Schauer durchlief ihn. Sie war weg, spurlos. Als ob sie nie da gelegen hatte, in ihrer Schönheit. Sofort sah er nach, ob Hunderte von Schnecken ihren Rückzug antraten, aber auch die waren weg. War sie nur ein Traum im hitzebedingten Fieber?

Mühsam stand er auf und erblickte ungläubig einen makellosen Sandstrand. Hitzewellen tauchten erneut alles in ein gleißendes Licht wie eine Fata Morgana und er begann, an sich zu zweifeln. Noch immer war die Frage nicht beantwortet, wer er überhaupt ist. Wo kam er her und noch wichtiger: Wo war er?

Etwas später starrte er auf ein Glas Retsina, das vor ihm stand. Halbvoll. Hatte er es bestellt? Alles war unwirklich, und mühsam erfassten seine blutunterlaufenen Augen die Szene vor ihm. Er war in einer Taverne. An einem Tisch saßen vier Männer, mit von der Sonne gegerbter Haut und spielten Taula, zwischen den Lippen eine Zigarette. Ohne zu sprechen schossen sie klackend die Taulasteine über das Brett und bliesen blaue Kringelwölkchen aus der Zigarette in die Luft. Die Männer waren einfach gekleidet. Wahrscheinlich waren es Fischer.

Plötzlich fühlte er ein Grummeln im Magen. Wann hatte er zuletzt gegessen? Es überraschte ihn selber, als er in einwandfreiem Griechisch einen Salat und Brot bestellte. Woher konnte er Griechisch? Das Gefühl, nicht zu wissen, wer er war und was geschehen war, ließ wieder die Wut in ihm hochsteigen. Jetzt fühlte er eine andere Not. Wankend stand er auf und suchte den Weg zur Toilette. Er betrachtete seinen Strahl, als ob er nicht von ihm stammte. Der Nebel in ihm verwischte alles. War er betrunken? Er konnte sich an nichts erinnern. Als er seine Hände im Waschbecken wusch, fiel ihm auf, wie gepflegt seine Fingernägel waren. Er hielt seinen ganzen Kopf unter den Wasserhahn, und es war wie eine Geburt, als das lauwarme Wasser leicht über seine Schläfe und sein Gesicht strömte. Er betrachtete sein Gesicht im Spiegel und stellte fest, dass er so um die 50 sein müsste und sonnengebräunt war. Seine blutunterlaufenen Augen waren blau. Er wusste immer noch nicht, ob er betrunken war.

Langsam kehrten Bruchstücke von Erinnerungen wieder, nur Fetzen, ein Arztbesuch, Hamburg und eine schöne Villa am Wasser. Eine Frau. Seine Frau? Oder Geliebte? Er wusste es nicht mehr.

Die Stiche in seinem Kopf machten ihn munter. Ein Gefühl der Zufriedenheit zog durch ihn. Er war wenigstens lebendig, wenn auch umgeben von Blitzen und Schmerzen. Der Schmerz gehörte anscheinend zu ihm, war Teil von ihm. Wieder sah er bruchstückhaft die Arztpraxis. Er sah eine Liege, auf der er lag. Er sah eine Krankenschwester, die ihn mitleidig ansah und zwei Ärzte, die flüsternd miteinander sprachen. Dann wieder nichts. Wo war das? Und worum ging es? Ihm wurde jetzt bewusst, dass er krank sein musste, anscheinend sehr krank, nach den Gesichtern der Ärzte zu urteilen. Aber was machte er in Griechenland? Denn das war anscheinend Griechenland. Er hatte ja schließlich in Griechisch seinen Salat bestellt. Jetzt wurde ihm bewusst, dass er immer noch nichts gegessen hatte und schrecklich hungrig war.

An seinen Tisch zurückgekehrt, leerte er mit einem Zug das Glas Retsina. Der harzige Geschmack des Weines tat ihm gut, und er nahm ein Stück Brot, das er bedächtig kaute. Der Salat war einfach, aber gut. Er genoss den Geschmack von Schafskäse und Oliven. Er musste öfter in Griechenland gewesen sein. So vertraut schien ihm jetzt die Taverne mit ihren Taulaspielern. Er versuchte festzustellen, wo er war, auf dem Festland oder auf einer Insel? Mit dem Meer in der Nähe, tippte er eher auf eine Insel. Aber welche? Er hatte keine Lust, die Taulaspieler anzusprechen. Es würde ja besonders merkwürdig erscheinen, wenn er fragte, wo er ist. Seine Hilflosigkeit wollte er noch nicht preisgeben.

Seine Gedanken, wanderten wieder zu der Toten am Strand, während er aß. Er versuchte krampfhaft, die Erscheinung hervorzuholen, aber es gelang ihm nur mäßig. Er ärgerte sich, dass er eher die unschuldige Brust und die langen Beine sah, nicht mehr ihr Gesicht. Sie war blond, nicht wahr? Lange blonde Haare, die im Wind spielten. Jetzt sah er wieder die Wunde an ihrer Schläfe, groß, blutig und hässlich. Sie könnte von einem schweren Gegenstand stammen. War es ein Unfall? Wurde sie vielleicht auf einem Segelschiff von irgendetwas erschlagen? Aber das schloss er sofort wieder aus. Dann fiel ihm auf, dass er, wie sie, ohne Schuhe war. Könnte es sein, dass er sie kannte, dass ihnen gemeinsam etwas zugestoßen war?

Er fühlte schon wieder die Wut, die wie ein brodelndes Ungeheuer in ihm aufstieg. Er musste sich zurückhalten, um nicht den Tisch samt Salat und Weinflasche umzukippen. Weiße Blitze schossen vor seinen Augen hin und her, und er hatte Mühe, sich zu konzentrieren. Er musste zahlen. Hatte er denn überhaupt Geld dabei? Er fühlte in seine Hosentaschen und war nicht erstaunt, als er nichts fand. Dann spürte er in seiner Unterhose Etwas, das ihn kratzte. Er öffnete unauffällig seinen Hosenschlitz und fühlte ein Plastiksäckchen, das in seiner Unterhose steckte. Einen Moment fürchtete er, dass er Drogen vorfinden könnte. Die weitere Suche brachte einige Tausend Euros hervor. Alles 500-Euro-Scheine und einige Hunderter, wasserdicht geschützt in einer Folie. Wenigstens das!

Er rief wieder in perfektem Griechisch den Wirt zum Zahlen an seinem Tisch. Er zahlte mit einem 100-Euro-Schein und gab ein großzügiges Trinkgeld. Der Wirt war ganz verdutzt. Jetzt wagte er es doch, ihn nach dem nächsten Ort zu fragen, damit er Schuhe kaufen konnte. Der Wirt nannte den Ort Calamaria, was ihm allerdings überhaupt nichts sagte. Er wusste immer noch nicht, ob er auf dem Festland oder auf irgendeiner Insel war. Der Wirt zeigte ihm die Bushaltestelle und er verabschiedete sich.

 

2

Eva Simmering

Die Abendsonne zauberte goldbraune Reflexe in das dunkle Haar der Frau. Sie saß vornübergebeugt über einem Buch in ihrem Schoß und starrte unentwegt auf ihre Armbanduhr, eine teure Uhr, Marke Ebel. Sie seufzte leise und stand auf. Ihr Blick wanderte über den schönen Garten und die Elbe. Im hintersten Winkel arbeitete Giorgos, der Grieche. Trotz ihrer Unruhe musste sie schmunzeln, als sie daran dachte, wie Giorgos in ihre Familie integriert wurde. Als sie diese schöne Villa bezogen, gingen sie abends, nach getaner Arbeit, irgendwo essen. In dieser noblen Gegend gab es nur feine Restaurants. Eines dieser Restaurants gehörte einem Griechen. „Taverne zum Peleponnes“. Sie und ihr Mann waren begeistert von dem guten Essen.

Die Taverne lag auf einer Anhöhe mit unverbautem Blick auf die Elbe. Weinranken zierten die alten Gemäuer. Sie hingen voll mit reifen Trauben. Oleander und Hibiskus gaben dem Garten das griechische Flair. Die Innendekoration war genauso schön, und sie fühlten sich einfach wohl. Höflich sprachen sie den Eigentümer an und lobten den schön angelegten Garten. Er lachte und stellte ihnen seinen Bruder Giorgos vor. Ein gut gebauter, braun gebrannter Grieche mit freundlichen Augen und schneeweißen Zähnen. Zum Scherz sagten sie, dass sie sich freuen würden, ihn in ihrem Garten zu haben und ob er Lust hätte, diesen neu anzulegen. Zu ihrem Erstaunen sagte er zu.

So kam Giorgos zu ihnen und bewirtschaftete den Garten. Er pflanzte griechisches Gemüse und sorgte dafür, dass alles schön sauber war. Es war eine Wohltat, in diesem Garten spazieren zu gehen. Jetzt bewohnte er den Pavillon, der in der untersten Ecke des Gartens stand.

Mit Giorgos Hilfe hatte ihr Mann perfekt Griechisch sprechen gelernt. Ihr Mann freute sich, am Abend mit einer Flasche Wein zu Giorgos zu gehen. Manchmal saßen sie bis in die Nacht hinein zusammen, tranken, rauchten und erzählten. Worüber, hatte sie nie erfahren. Es hat sie auch nicht interessiert.

Die Standuhr im Flur riss sie aus ihren Gedanken. Sie schlug achtmal. 8 Uhr abends! Noch immer hatte sie keine Nachricht von ihrem Mann, der sonst bei Auslandsreisen pünktlich um 19 Uhr anrief, um ihr zu sagen, dass alles in Ordnung sei und er sie lieb hat. Vor dem Schlafengehen rief er meistens nochmals an, um ihr eine gute Nacht zu wünschen. Jetzt hatte er immer noch nicht angerufen! Sie beruhigte sich mit dem Gedanken, dass man den Abend in Griechenland später und lockerer beging, als hier in Deutschland. Vielleicht sollte sie einfach mehr Geduld haben.

Ihre Blicke wanderten wieder zu Giorgos. Er war schon eine Sünde wert. Er war näher gekommen, und die Muskeln spielten auf seinem nackten, gebräunten Oberkörper. Mit Wohlgefallen stellte sie fest, dass seine Blue Jeans einen muskulösen Hintern bedeckten. Die Muskeln spannten unter dem dicken Stoff in einer schönen Wölbung.

Ihr Mann hatte nicht so einen schönen Hintern, seiner war eher flach und schlaff. Sonst war er ein gutaussehender Mann, und ihre Ehe war glücklich. Sie war aber nicht so begeistert von seinen vielen Auslandsreisen, die jedoch in so einer Position üblich waren. Als Prokurist der Firma hatte er Einblick in alle Geschäfte und war ein gefragter Mann. Sie stellte allerdings fest, dass sie keine Ahnung hatte, was ihr Mann überhaupt so tat und womit er sich beschäftigte. Irgendetwas mit einer Öl-Flotte. Die Firma Petrol AG besorgte, wie damals Onassis, den Öltransport von Saudi-Arabien und ähnlichen Ländern in alle Welt. Daher die vielen Reisen nach Griechenland.

Seine Position ermöglichte ihnen diese luxuriöse Villa mit Garten, Pool und Tennisplätzen. Sie konnten sich auch eine Hausdame und Personal für die vielen Empfänge und Partys, die in regelmäßigen Abständen stattfanden, sowie einen Gärtner leisten.

Wieder wanderten ihre Blicke zu Giorgos. Er wusch gerade sein Gesicht und seinen Oberkörper im Brunnen. Das Wasser tropfte auf seine Brust und lief in einem kleinen Rinnsal nach unten, um in Nabelhöhe in den Stoff der Hose zu versickern.

Es war jetzt halb 9. Immer noch kein Anruf. Sie fühlte, wieder die leichte Unruhe in ihr aufsteigen. Es wird doch nichts passiert sein? Sie überlegte, wie sie herausfinden konnte, wo er war und warum er nicht anrief. Seine langjährige Sekretärin, Carolin Weber, begleitete ihn stets bei all seinen Reisen. Carolin war verheiratet und hatte zwei kleine Kinder. Es kam ihr nie der Gedanke, dass etwas zwischen den beiden sein könnte.

Ihr Mann war ja immer so liebevoll zu ihr und brachte ihr kleine Geschenke mit, um ihr eine Freude zu machen. Sie hatte also gar keinen Grund, an seiner Treue zu zweifeln.

Trotzdem war ihr aufgefallen, dass er sich irgendwie verändert hatte. Er war nicht mehr so lustig und erzählte ihr eigentlich fast gar nichts mehr. Manchmal kam er ihr richtig abwesend vor. Er schien auch seinen Appetit verloren zu haben. Als sie ihn daraufhin ansprach, sagte er nur lapidar, dass er müde sei und wahrscheinlich überarbeitet.

Kurz entschlossen rief sie jetzt den Ehemann von Carolin an. Schließlich musste er auch wissen, wo die beiden sind. Er war sofort am Telefon, so, als ob er es bereits in der Hand gehalten hätte. Nein, er hatte von Carolin noch nichts gehört. Das sei sehr ungewöhnlich, weil sie immer rechtzeitig anrief, damit sie noch mit den Kindern sprechen konnte, sagte er. Sie beschlossen, noch bis Mitternacht zu warten und dann die Polizei anzurufen. Über die Reise wussten sie lediglich, dass die beiden nach Athen geflogen waren. Sie wollten irgendwo übernachten, um am nächsten Morgen einen großen Geschäftsabschluss zu machen. Mit wem und wo blieb allerdings unklar.

Als Nächstes fiel ihr ein, dass doch die Firma wissen müsste, wohin ihr Mann gereist war. Jetzt war es leider schon zu spät, um anzurufen. Sie verabschiedete sich von Carolins Ehemann.

Der Abend hatte jetzt eine andere Wendung genommen. Die Gelassenheit, mit der sie immer auf seinen Anruf wartete, war nun völlig verschwunden. Plötzlich kamen ihr auch Gedanken über Untreue in den Sinn. Etwas, über das sie noch nie nachgedacht hatte. Möglich war es natürlich. Carolin war eine sehr hübsche Frau mit einem großen, einladenden Busen. Ihre eigenen Brüste waren eher flach, und nach ihrer Meinung, unansehnlich. Sie trainierte immer fleißig und benutzte alle möglichen Salben und Tinkturen. Eine Verbesserung konnte sie leider bisher noch nicht feststellen. Männer mögen doch immer große Busen, nicht wahr, dachte sie jetzt. Was sie nicht bieten konnte, hatte Carolin. Und wenn man so lange von zu Hause weg war …?

Sie quälte sich jetzt mit unschönen Gedanken und sah schon in ihrer Fantasie, wie die beiden sich in ihrer Leidenschaft in seidenen Laken wälzten. Das hätte sie aber doch irgendwie gemerkt, oder? Er war immer liebevoll und charmant zu ihr, eigentlich kein Anlass zur Besorgnis. Aber wenn das nur eine Täuschung war …?

Ohne Essen ging sie zu Bett. Jetzt fest davon überzeugt, dass etwas ganz und gar nicht stimmte.

Am nächsten Morgen, nach einer fast schlaflosen Nacht, ging sie mit Carolins Ehemann zur Firma ihres Mannes. Auf ihre Frage, wo sie ihn denn hingeschickt haben, bekam sie die ernüchternde Antwort: „Er ist doch in Urlaub?“

Und dann noch: „Ja, Frau Weber hat auch Urlaub beantragt.“

Ein quälendes Gefühl durchzog ihren Körper. Ihr Herz verkrampfte sich und sackte in ihrem Körper zusammen, fiel ins Bodenlose.

 

3

Gedächtnisverlust

Der Mann stand auf einem griechischen Markt. Ringsum kleine Tavernen. Bunte Markisen hielten die brennende Sonne ab. In einem Kaleidoskop von Farben bot ein Händler Obst und Gemüse an. Die roten, aufgeschnittenen Wassermelonen in starkem Kontrast zu den gelben Bananen. Datteln und Feigen setzten dunklere Farbpunkte. Die Gerüche waren überwältigend. In großen, am oberen Ende gefalteten Leinensäcken, standen Gewürze, von Pfeffer in allen Farben bis zu Kümmel, Curry und Koriander. Dies duftete alles um die Wette.

Müde blickte er in die Gegend und suchte ein Geschäft, wo er Schuhe oder wenigstens Sandalen kaufen konnte. An einem Kiosk wurde er fündig und kaufte ein paar billige Sandalen. Er kaufte auch noch ein Portemonnaie, damit er das gefundene Geld nicht in der Hosentasche tragen musste. Erstaunt blickte er auf einen deutschen Führerschein, der zwischen den Scheinen zum Vorschein kam. Das Bild schien ihm ähnlich. Es lautete auf den Namen Herbert Simmering, Hamburg. Es enthielt auch noch einige Kreditkarten von American Express, Visa und eine Mitgliedskarte des Lions Club, Hamburg. Anscheinend war er sogar Ehrenmitglied.

Hamburg. Kam er aus Hamburg? Wieder blitzten Momente in seinem Kopf, in denen er eine Villa sah – und eine Frau. Er strengte sich an, sich an ihr Gesicht zu erinnern, aber es gelang ihm nicht. Anscheinend war er vermögend, nach den Tausenden von Euros zu urteilen. Wo war der Rest seiner Papiere? Der Pass zum Beispiel. Und warum war alles wasserdicht verpackt? War es geplant, dass er nass werden würde?

Das war alles so irritierend, dass er nicht mehr wusste, was geschehen war und wer er war. Jetzt hatte er allerdings Geld, Kreditkarten und wenigstens Sandalen. Er beschloss, ein Nachtquartier zu suchen und erst einmal zu schlafen. Er war hundemüde. An dem Platz befand sich auch eine kleine Pension, und er buchte ein Zimmer mit Frühstück. Dabei stellte er fest, dass er nichts außer dem besaß, was er am Leibe trug. Keine frische Unterwäsche zum Wechseln oder eine Zahnbürste. In einem Krämerladen stattete er sich notdürftig aus. Er kaufte auch noch eine kurze Hose und ein T-Shirt. In dieser Hitze war das das Einzige, was man tragen konnte.

Zutiefst erschöpft fiel er in einen unruhigen Schlaf, aus dem er mehrfach erwachte. Dann erschien sie ihm nochmals, die Tote am Strand, und er saß aufrecht im Bett. Das war Carolin! Carolin Weber. Plötzlich fiel ihm sogar ihr Name ein. Seine langjährige Geliebte. Mit ihr hatte er all seine Reisen gemacht. Zuerst als braver Ehemann, mit nichts Unrechtem im Sinn, dann aber, nach einem großen Geschäftsabschluss und einer durchzechten Nacht, wurde sie seine Geliebte. Sie konnten immer den Schein wahren, da sie im Umgang mit ihren Ehepartnern gleichbleibend liebevoll blieben. Sie schliefen miteinander und nichts, aber auch nichts, verriet sie.

Er lehnte sich zurück in sein Kissen, und jetzt kamen die Erinnerungen ziemlich deutlich zum Vorschein. Wie sie sich anfühlte in ihrer letzten Nacht, in der kleinen Pension in Piräus... weich und weiblich. Ihre sanften, warmen Arme, die ihn umschlangen nach einer heißen, leidenschaftlichen Nacht. Wie ihre nackten Brüste sein Gesicht streiften, wenn sie sich lachend über ihn beugte, um eine Zigarette zu suchen, diese anzuzünden und gemeinsam mit ihm zu rauchen. Er erinnerte sich sogar an den Geschmack ihrer Haut, salzig und würzig. Kleine Schweißperlen standen noch auf ihrer Nase. Alles an Carolin war schön, ihr Gesicht ebenso wie ihr Körper. Perfekt proportioniert mit weichen Rundungen da, wohin sie gehörten. Aber er liebte vor allem ihre schönen Brüste – der Ruheplatz für sein Gesicht.

Mit Entsetzen erinnerte er sich jetzt, wie sie dagelegen hatte: tot. Was war geschehen? Hier verließ ihn wieder die Erinnerung.

Eines scheint aber jetzt klar, dachte er. Irgendetwas war ihnen gemeinsam zugestoßen. Anscheinend hatten sie etwas geplant, bei dem sie erwarteten, nass zu werden. Warum aber sollte er seine Identität verbergen und nur ein Säckchen mit Geld bei sich tragen wollen?

Quälende Gedanken wanderten durch seinen Kopf, bis er endlich völlig erschöpft wieder einschlief.

Am nächsten Morgen, nach einem erfrischenden Bad, entschied er, auf die Suche zu gehen. Sie konnte doch nicht einfach vom Erdboden verschwunden sein! Zuerst muss er aber herausfinden, wo er war. Was ist Calamaria? Ein Ort an der Küste?

In dem gleichen Kiosk, wo er seine Sandalen und die Geldbörse gekauft hatte, suchte er jetzt nach einem Stadtplan. Hier konnte er einfach so tun, als ob er ein Tourist wäre, der nicht weiß, wo er ist. Die Karte gab Gewissheit. Er war ganz in der Nähe von Thessaloniki, in einem Ort Calamaria, mit einem kleinen Fischerhafen in Thermaikos. Er stand jetzt auf der Plaza Neakrini. Der Strand, an dem er Carolin gefunden hatte, hieß Beach Aretsoy. Er wusste jetzt, dass er sich auf dem Festland befand, nicht auf einer Insel.

Er beschloss, an den Strand zurückzugehen und sie zu suchen. Eigentlich konnte sie nur von der Flut weggespült und irgendwo anders wieder an Land angeschwemmt worden sein. Jetzt leichter gekleidet, ging er durch das Wäldchen zum Strand. Er konnte die Stelle, an der sie gelegen hatte, nicht mehr finden. Alles sah gleich und glatt aus. Er lief zum Wasser und zog seine Sandalen aus. Noch blieben ihm schwere Gefühle erspart. Er war nur neugierig, was mit der Leiche passiert war. Er fühlte noch keine Trauer. Das Wasser war herrlich kühl an seinen Füssen, und er genoss es sogar. Auch blieb er endlich verschont von den bohrenden Kopfschmerzen des Vortages.

Eine Art Kaimauer als Hafenbegrenzung rückte in sein Blickfeld, und er lief eine Weile im seichten Wasser an ihr entlang. Dann wurde das Wasser tiefer und er kletterte auf die Mauer, um ihr weiter zu folgen. Immer wieder schaute er nach unten, ob er etwas Verdächtiges sah. Am Ende der Mauer erreichte er einen Aussichtspunkt, von dem aus man weit übers Meer schauen konnte. Die nächste große Insel war Aigina. Ein kleiner Jachthafen lag links der Mauer. Fischer saßen auf dem Strand und reparierten ihre Netze. Sonst war alles ruhig.

Gedankenverloren stand er da in der Sonne und schaute in die Ferne. Dann wanderte sein Blick plötzlich nach unten. Sein Herz blieb stehen. Unten, an die Mauer gelehnt, sah er einen länglichen Gegenstand. Es könnte ein Körper sein! War das seine Carolin? Es gab keine Möglichkeit für ihn, nach unten zu klettern und nachzusehen. Er durfte sie auch auf keinen Fall selbst finden. Er hatte ja schließlich eine Identität, und bevor er nicht wusste, was passiert war, wollte er kein Risiko eingehen. Wie erstarrt stand er da und überlegte. Es sah nicht so aus, als ob sie weiter abgetrieben werden würde, da sie offensichtlich mit irgendetwas festhing. Vielleicht ihre Shorts, oder ein anderer Gegenstand?

Am sinnvollsten wäre, dass sie nicht eher gefunden wird, bis sie kaum noch zu identifizieren war.

 

4

Eva sucht ihren Mann

Die Nacht ging ohne Ergebnis vorüber. Sie hatte sich schlaflos von einer Seite zur anderen gewälzt und sich Vorwürfe gemacht. Es kam kein Anruf.

Den Gedanken, dass ihm etwas zugestoßen sein konnte, wies sie entschieden zurück. Er hat eine Geliebte, hämmerte es in ihrem Schädel! Hätte sie das nicht früher erkennen können? Und auch der Ehemann von Carolin Weber war anscheinend ahnungslos. Sie genoss plötzlich das Gefühl, in der Opferrolle zu sein. Sie, die arme betrogene Ehefrau!

Während sie auf ihn wartete, amüsierte er sich mit einer anderen!

Sie stellte mit Erstaunen fest, dass sie eigentlich nicht wirklich verletzt war, sondern nur verärgert. Es war bestimmt Carolins Busen, der ihn dazu veranlasst hat, sich mit ihr einzulassen. Hätte sie doch damals das Angebot des Plastikchirurgen, mit dem sie auf einer ihrer vielen Partys heftig flirtete, angenommen und sich die Brust vergrößern lassen! Dann wäre vielleicht nichts passiert. Aber jetzt war alles sowieso zu spät.

Es kam ihr überhaupt nicht in den Sinn, dass er ganz einfach nach Hause kommen könnte, ohne dass etwas passiert war. Sie war sich ganz sicher, dass er mit Carolin untergetaucht war. Aber wohin?

Sie entschied sich, ihm zu folgen und ihn zu suchen. Dafür brauchte sie einen griechisch sprechenden Detektiv, da ja seine letzte Spur in Athen endete. Es war jetzt witzlos, die Polizei einzuschalten, da es sich ja nur um Ehebruch handelte. Carolins Ehemann konnte tun und lassen was er wollte. Es war ja schließlich seine Ehefrau, die untreu war und dieses Problem ausgelöst hatte.

Sie wälzte die Gelben Seiten, fand zwar eine Reihe von Privatdetektiven, aber keinen, der griechisch sprach. Dann fiel ihr Giorgos ein. Sie hatte ja einen Griechen vor der Haustür! Sie schämte sich allerdings, mit ihm über ihre Probleme zu reden.

Was würde er von ihr denken? Dass sie noch nicht mal imstande war, eine gute Ehe zu führen? Viel-eicht wusste er viel mehr als sie dachte, wenn sie an die vielen Abende dachte, an denen er mit ihrem Mann vor dem Pavillon saß und mit ihm Retsina trank. Vielleicht hatten sie sogar über sie gelacht?

Giorgos kam jetzt den Pfad hochgeschlendert und wieder starrte sie ungewollt seinen schönen, braungebrannten Körper an. Er trug ein schwarzes T-Shirt und enge Jeans.

„Giorgos, ich muss mit dir reden“, rief sie ihm zu und lief zu der Sitzgruppe auf der Terrasse. Er antwortete nicht.

Vielleicht weiß er alles und lacht sie aus? Die dumme Hausfrau! Vielleicht hatten sie sogar über Carolin und ihren Busen gesprochen und dabei an ihre flache Brust gedacht und herzlich darüber gelacht. Zwei gleichgesinnte Männer!

Sie rief ihm jetzt energischer zu, und er kam näher.

„Was ist?“, fragte er ziemlich mürrisch. Er kam aber jetzt zu ihr und setze sich ungefragt in den Sessel, seine Stellung als einfacher Gärtner völlig außer Acht lassend.

„Weißt du, wo Herbert jetzt ist?“, fragte sie und es war ihr gleichzeitig bewusst, dass diese Frage eigentlich schon alles sagte.

„Wieso?“, fragte er, immer noch mürrisch.

„Er hat gestern Abend nicht mehr angerufen. Das ist sehr ungewöhnlich für ihn. Auch seine Sekretärin, Carolin Weber, hat sich nicht zu Hause gemeldet. Hast du eine Idee, wo er sein könnte? Ihr quatscht ja öfter miteinander!“, versuchte sie, ihre Frage nicht zu dramatisch klingen zu lassen.

Er guckte jetzt doch verdutzt und konnte nur ein erstauntes „Echt?“ herausbringen.

Giorgos dachte allerdings: Hat der alte Knabe es doch getan? Sie hatten tatsächlich häufig über die Möglichkeit gesprochen, einfach von der Bildfläche zu verschwinden. Herbert war nicht glücklich in seiner Ehe. Die Frau war ihm viel zu spröde. Sie hatte keine anderen Interessen, als nur über ihre Bridge-Freundinnen zu reden oder über das Personal zu schimpfen. Wenn Herbert sehr viel Retsina trank, beichtete er auch manchmal, dass es gar nichts mehr zwischen ihnen gab. Er fragte einmal sogar Giorgos, ob er nicht eine Frau für einen Abend wüsste.

Er dachte weiter: Das war dann wohl auch die Zeit, in der er anfing, andere Frauen anzuschauen. Diese Carolin hatte Giorgos einmal auf einer Party gesehen. Die war schon eine Wucht. Mann, hatte die einen Busen! Kein Wunder, dass Herbert bei ihr schwach geworden ist. Aber ganz abzuhauen? Das war doch starkes Stück!

„Würdest du mir helfen, meinen Mann zu suchen?“, unterbrach die Frau seine Gedanken. „Ich brauche jemanden, der die Gegend kennt und mit den Leuten reden kann. Wahrscheinlich hat er dir auch mehr davon erzählt, was er so macht und vor allen Dingen, wo.“

„Hmm“, gab Giorgos vorsichtig von sich. Blitzschnell überlegte er, ob es vernünftig war,

sich da einzumischen. Er hatte selber mit Herbert einige krumme Schwarzgeschäfte gemacht. Er kannte tatsächlich die Gegend, wo Herbert sich in Athen aufhielt, und er hatte ihm auch einige zwielichtige Persönlichkeiten empfohlen. Darunter waren auch Pfandleihhäuser, die als Zwischenhändler fungierten und Tipps gaben, wo versunkene Schiffe aufzuspüren und noch echte Schätze verborgen waren. Herbert war ja begeisterter Taucher, und er wollte immer schon nach versunkenen Schiffen suchen. Sein Lohn für diese Kontakte war immer sehr großzügig gewesen. Da alle Geschäfte nur in bar abgeschlossen wurden, hatte er keine weiteren Bedenken gehabt.

Er hatte geahnt, dass Herbert alles vorbereitete, um einfach zu verschwinden, und zwar mit Carolin. Wohin allerdings, und wie, wusste er nicht.

„Was willst du denn machen?“, fragte er jetzt, um Zeit zu gewinnen.

„Ich weiß es nicht genau“, antwortete sie zögernd. „Vielleicht einfach mal dahin fliegen und versuchen herauszufinden, wo er zuletzt war.

„Weißt du denn gar nichts?“, fragte sie hoffnungsvoll.

„Ich weiß nur, dass er in Piräus übernachten wollte, um dann am nächsten Tag ein großes Geschäft abzuschließen.

„Ich habe bei seiner Firma nachgefragt, aber die wissen nichts, da er Urlaub beantragt hat …“, sagte sie und schluchzte plötzlich auf. Sie schielte zu Giorgos rüber, ob er ihre Tränen bemerkte und sie vielleicht trösten wollte.

„Na gut, dann wollen wir es probieren“, sagte er endlich und stand einfach auf, ohne sie weiter zu beachten.

„Dann bereite mal alles vor, dass wir morgen fliegen können.“

Und dann war er weg! Kein Gruß, kein Lächeln, vor allem keine tröstende Umarmung.

Stoffel, dachte sie plötzlich verärgert.

 

5

Der Schatz

Der Mann setzte sich auf die Kaimauer, seinen Kopf in die Hände stützend. Weiße und rötliche Blitze zogen durch seinen Schädel. Der Schmerz war mit Macht zurückgekehrt und kaum auszuhalten. Schweiß lief an seinem Körper herunter und eine eisige Kälte überfiel ihn. Es fühlte sich an, als ob jeder Nerv in seinem Körper angespannt war. Der Schmerz lief wie eine Spinne den Rücken herunter, seine Beine versagten. Er war wie gelähmt. Sein Mund war trocken, obwohl sich Speichel in seinen Mundwinkeln sammelte. Ihm war schlecht.

Der Schmerz in seinem Schädel ließ dann allmählich nach. Er fühlte sich etwas freier. Plötzlich fielen ihm wieder Fetzen von Erinnerungen ein.

Er erinnerte sich auch an seine Liebe zu Carolin, und in diesem Moment übermannte ihn ein Gefühl der tiefen Traurigkeit. Er weinte vor Schmerz und Trauer. Es war ihm nicht ganz klar, was überwiegte. Er hatte alles minutiös geplant. Wie er mit ihr einfach verschwinden würde, ohne Identität. Dann erinnerte er sich auch, warum. Er hatte sowieso nichts mehr zu verlieren. „Ungefähr 6, vielleicht auch 12 Monate“, hatten die Ärzte gesagt. Er solle alles regeln.

Seine restliche Zeit wollte er mit Carolin verbringen. Irgendwo, wo ihn niemand finden konnte, bis alles vorbei war. Ihm fiel auf, dass er dabei gar nicht an Carolin gedacht hatte und was aus ihr werden würde, so allein im Nirgendwo. Sie war ja schließlich auch verheiratet und hatte sogar zwei liebe Kinder. Seine Frau war gut versorgt und würde ihn wahrscheinlich nicht mal richtig vermissen. Es wäre eine neue Sensation, die sie in ihrem Bridge-Club erzählen konnte, um sich bemitleiden zu lassen. Aber bei Carolin sah es ganz anders aus.

So wie er sich jetzt fühlte, dauert es wahrscheinlich nicht mehr lange. Eigentlich gehörte er schon längst in ein Krankenhaus, angeschlossen an lebenserhaltende Schläuche. Das kam aber für ihn nie infrage.

Erst wollte er seinen großen Traum verwirklichen. Den Traum vom Goldschatz. Irgendwo, vor der Küste von Thessaloniki und Thassos würden gleich zwei Goldschätze liegen. Er hatte den Tipp von einem Griechen bekommen, einem alten Seebären: Jannis, der während des Krieges einen Frachter im Auftrag eines Nazi-Offiziers versenkt hatte. Im Zweiten Weltkrieg soll die jüdische Gemeinde von Thessaloniki Gold und wertvolle Gegenstände an ihn übergeben haben. Dafür wollte dieser die Deportation von 50.000 Gemeindemitgliedern in die Vernichtungslager verhindern.

Der Nazi-Offizier hatte sein Versprechen nicht gehalten. Sie wurden alle ermordet.

Daraufhin ließ er den Schatz in einen Frachter verladen und versenken. Nach dem Krieg wollte er ihn heben. Bis dato wurde allerdings immer noch nichts gefunden.

Jannis war damals ein junger Fischer mit einem eigenen Boot, aber auch mit einem Kapitänspatent, das ihn ermächtigte, Frachter steuern zu dürfen.

Giorgos hatte ihm von Jannis erzählt und sie miteinander bekanntgemacht.

Der alte Grieche hatte ihm in ziemlicher Trunkenheit Einzelheiten erzählt, denn er war dabei, als der Frachter versenkt wurde. Nachdem ihm ein größeres Bündel Bargeld winkte, war Jannis bereit, ihm die Stelle zu zeigen. Er kramte aus einem ziemlich dreckigen Sack ein abgegriffenes Stück Papier hervor. Darauf waren Koordinaten eingezeichnet, wo angeblich ein Schiffswrack liegen könnte.

Herbert Simmering war elektrisiert bei dem Gedanken, einen Schatz zu heben. Als junger Mann hatte er in einer Tauchschule gearbeitet und war ein exzellenter Taucher. Er wusste genau, welche Ausrüstung man benötigt und wo diese zu kaufen war. Allerdings musste er dem Griechen vertrauen und ihn auf jeden Fall mitnehmen. Es war gut möglich, die Aktion von einem Fischerboot zu starten, nur benötigte er noch diverse Taue und eine Art Kran, damit der Schatz, der vermutlich aus Gold, Silber und Juwelen bestand, gehoben werden konnte. Das hatte sicherlich ein ziemliches Gewicht …

Jetzt war er nur noch müde und schwach. Er machte sich auf den Weg zurück in die Pension. Dort hatte er noch nicht ausgecheckt. Erst einmal schlafen, einfach schlafen, weiter nichts. Seine verworrenen Gedanken waren sowieso nur kleine Schnipsel aus seiner Erinnerung.

 

6

Schwarzgeld und Mädchenhandel

„Also, Simmering“, sprach der Direktor der Firma Petrol AG, „Sie müssen diesmal alleine hinfahren. Ich kann nicht. Diesmal sollen mindestens 1,5 Millionen abgehoben werden. Der Deal mit den Saudis wird gigantisch.“

An einem Tisch saßen vier Herren mit Papieren, Akten und Bildern von wohl gebauten, blonden Mädchen. Die Männer waren alle um die 50, die meisten fett und schmierig, wie auch ihre Tätigkeit. Sie versorgten den saudischen Prinzen mit Mädchen für dessen Harem gegen gigantische Schmiergelder. Die Firma bekam Aufträge für ihre Öltankerflotte. Herbert Simmering schaute auf die Runde, und am liebsten wäre er aufgestanden und hätte sie alle zum Teufel geschickt.

In der Regel flogen sie zumindest zu zweit nach Zürich, wo die Firma ein Nummernkonto und ein Bankfach besaß. Den Schlüssel dazu hatten lediglich Direktor Dr. Wagensommer und er, Herbert Simmering. Das Geld für die Mädchen wurde bar abgehoben und das Auftragsgeld wieder bar eingezahlt. Somit war immer genug Geld für die schmierigen Geschäfte da. Bei jeder dieser Abhebungen, hatte er einen Großteil selbst abgezwackt und in ein eigenes Schließfach gesteckt, wenn er alleine war. Dieses Geld brauchte er, um für die Tipps zu bezahlen, die er von Giorgos bekam und für kleinere, unauffällige Schwarzgeldzahlungen. An dem Mädchenhandel hatte er nie teilgenommen und es zutiefst verabscheut.

Als der alte Grieche, Jannis, ihm dann von dem Schiffswrack erzählte, zweigte er immer mehr Geld für sich ab. Diese Aktion wollte er alleine finanzieren und dann mit Carolin irgendwohin verschwinden. Carolin war auch eine gute Taucherin. Er würde sie mitnehmen auf seinen Tauchgang. Als sie 20 war, hatte sie eine Tauchschule in Australien geleitet. Dort hatte sie auch ihren Ehemann kennengelernt. Als die Kinder dann da waren, hatte sie das Tauchen aufgegeben.

Herbert Simmering hatte alles genauestens geplant. Er wusste, dass der Verdacht sofort auf ihn fallen würde, da nur er und Direktor Dr. Wagensommer den Schlüssel zum Safe besaßen. Es konnte allerdings keine genaue Summe festgestellt werden, da er die Papiere immer schon manipuliert hatte und die Firma wegen ihrer Schwarzgeldtätigkeiten nicht direkt zur Polizei gehen konnte. Ihm war aber auch klar, dass er sich damit eigentlich in Lebensgefahr begab, sollten sie ihn ausfindig machen. Dieses Risiko ging er ein. Seine Tage waren ohnehin gezählt.

Es machte ihn sehr zufrieden, seine Firma zu betrügen und dann auch noch einen Schatz zu bergen. Das war natürlich nicht unbedingt gegeben, und es sollte noch viel Mühe kosten, bevor er Carolin mit Juwelen und Gold bestücken könnte. Er stellte sich vor, als guter Samariter zu sterben und kurz vor seinem Tod den Israelis das ganze Geld, abzüglich Carolines Anteil zukommen zu lassen. Dann könnte er auch noch der Polizei einen Tipp geben, die Petrol AG unter die Lupe zu nehmen.

Er konnte nur hoffen, noch genügend Zeit zu haben.

Mit Carolin hatte er sich in einer kleinen Pension am Hafen von Piräus verabredet. In Zürich war alles erledigt. Nun ging es auch darum, die Familien abzusichern.

Doch jetzt war Carolin tot. Was war passiert?

 

7

Die Mädchen

Direktor Dr. Wagensommer legte den Hörer mit einem verächtlichen Schnauben wieder auf. Was sollte diese hilflose Frage der besorgten Ehefrau, wo denn Herbert Simmering sei? Der Mann hat sich halt nicht gemeldet. Na, und? Plötzlich war ihm aber gar nicht so wohl. Den wird ja hoffentlich nicht das Mädchentreffen gestört haben? Schon seit einiger Zeit war Direktor Dr. Wagensommer nicht mehr so sicher, ob der Loyalität von Herbert Simmering. Der hatte klar und deutlich sein Veto eingelegt, als es darum ging, die Mädchen für den Saudischen Prinzen auszusuchen und auf einem Öltanker zu verschiffen. Er beschloss, ihm bei nächster Gelegenheit den Safe-Schlüssel abzunehmen und lieber selbst nach Zürich zu fliegen. Wenn Simmering nun reden würde …, oh je, dann sähe es nicht gut aus, stellte Wagensommer fest. Vielleicht sollte man sich überlegen, ihn mundtot zu machen?

In diesem Augenblick war nichts zu machen. Er musste erst wieder da sein. Allerdings, wo steckte er denn? Er hatte tatsächlich Urlaub beantragt und wollte tauchen gehen. Aber das musste seine Frau ja wissen! Und dann noch die Frage, wo Carolin Weber ist? Die hatte auch Urlaub beantragt, anscheinend auch ohne Wissen ihres Ehemannes. Sollen die doch machen was sie wollen, dachte Wagensommer verächtlich.

Trotzdem war es ihm jetzt ganz unwohl bei dem Gedanken, was Herbert Simmering alles wusste. Er kannte alle Machenschaften der Firma Petrol AG, oder besser gesagt, die des Vorstands. Die Belegschaft hatte keine Ahnung. Für sie waren das ganz normale Geschäfte. Nicht einmal die Besatzung der Öltanker auf dem Weg nach Saudi-Arabien musste sich Gedanken machen über die hübsche Fracht.

Sie wurde ‚blind‘ an Bord gebracht. Ansonsten waren es ganz „legale“ Öltransporte.

Bei einem Geschäftsabschluss hatte irgendwann der Saudische Prinz in seiner Trunkenheit die Bemerkung gemacht, dass er sehr viel Geld für hübsche, blonde Mädchen, am liebsten Schwedinnen oder so, für seinen Harem bezahlen würde. Die würde er dann auch an seine Verwandtschaft weiter vermitteln und der Direktor könne sich auch aussuchen, welche er haben wollte. Er könnte auch gleich zwei oder drei bekommen!

Die Männer in der Runde der Geschäftsfeier waren sturzbetrunken, und was als Spiel anfing, wurde bitterer Ernst. Lars Eckström aus der Buchhaltung, der bei all diesen Treffen auch anwesend war, bot seine Hilfe an. Er meinte, dass er einige willige, hübsche Schwedinnen kennt, die gegen Geld alle Wünsche erfüllen würden.

Die Sache kam ins Laufen. Lars Eckström ließ fünf schwedische Mädchen zu einem Abendessen einfliegen. Sie wurden begutachtet und zu fortgeschrittener Stunde auch getestet. Die Orgie wurde für gut befunden. Jede bekam eine Summe in bar, und so wurden sie auf die Reise geschickt. Danach hörte man nie wieder etwas von ihnen.

Es ging Herbert Simmering gegen den Strich, dabei mitzumachen. Er fand es brutal und abstoßend. Direktor Dr. Wagensommer prustete verächtlich. Die Mädchen waren doch einverstanden.

Sie waren sowieso Prostituierte. Ob sie nun zu Hause die Beine breit machten oder in Saudi-Arabien, war doch egal. Er beschloss, Lars Eckström anzurufen und zu fragen, ob die letzte Lieferung erfolgreich war. Dann würde er weitersehen.

Der Gedanke an diese Mädchen hatte ihn jetzt dermaßen gereizt, dass er eine Schublade aufzog und ein Pornoheft herausholte. Mädchen seien doch zum Gebrauch da, dachte er höhnisch.

 

Fortsetzung folgt

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